Heinrich Böll wurde am 21.12.1917 in Köln geboren und starb am 16.7.1985 in der Nähe von Düren. Aufgewachsen in der Nachkriegszeit des 1. WK erlebt er die große Inflation, Arbeitslosigkeit und Hunger in der eigenen Familie. Erst zum Arbeitsdienst gezogen später als Infanterist durchlebt er die Zeit von 1938-45. Nach kurzer amerikanischer Kriegsgefangenschaft kehrt er in das ausgebombte Köln zurück. Hier begann er dann sein Germanistikstudium. 1951 erhält er eine Auszeichnung der "Gruppe 47". 1972 erhält er den Nobelpreis für Literatur. 1963 erscheint "Ansichten eines Clowns", 1974 "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Ab 1947 schreibt er satirische Kurzgeschichten. Helden seiner Werke sind kleine Leute. Häufige Themen sind Engagement für Minderheiten und Menschenrechte sowie Kritik am offiziellen Katholizismus). Böll gilt als prägend für die politische Kultur Deutschlands. Schonungslos prangert er die an, die Trotz verheerender Naziherrschaft mit folgendem Weltkrieg nichts dazugelernt haben. Seine Art, Missstände anzuprangern, bringt ihm den Vorwurf ein, die Wahrheit böswillig zu verzerren.
Der Roman "Ansichten eines
Clowns" von Heinrich Böll, erzählt aus der Sicht
des Clowns Hans Schnier das gesellschaftliche Bild Deutschlands
ab dem Zweiten Weltkrieg.
Die gesamte Handlung spielt in der Bonner Wohnung Schniers. Hierher
zurückgekehrt von seiner Tournee reflektiert er melancholisch
über sein bisheriges Leben.
Hans, Sohn eines erfolgreichen Industriellen, wächst während
der NS Zeit auf. In diesem Lebensabschnitt lernt er eine Vielzahl
an Ungerechtigkeiten kennen. Diese Enttäuschung in das Gute
kann er nicht überwinden und kommt in seiner Reflexion häufiger
darauf zu sprechen. Der in jeder Beziehung eigentümliche
Clown besitzt verschiedene spezielle Fähigkeiten, die mit
der sensiblen Künstlerseele zusammenhängen. Unbedingt
erwähnt werden muss hier die Fähigkeit, Gerüche
durch das Telefon aufzunehmen. Aus seinen Erzählungen der
Kindheit erkennt man bereits, wie sich Hans zum Außenseiter
entwickelt. Die kindlich naive Weltanschauung bleibt auch im fortgeschrittenen
Alter Schniers noch bestehen. Der Eigenbrödler lehnt sich
gegen bestehende Herrschafts- und Gesellschaftsformen auf.
Vor allem stört den protestantisch erzogenen, jedoch sich
selbst keiner Konfession zurechnenden Clown die katholische Kirche.
Der daraus entstehende Konflikt nimmt sein drastisches Ausmaß
in der Beziehung zu Marie Derkum. Die Tochter eines Krämers
ist Hans´ große Liebe. Maries Vater stellt eine Vaterperson
für Hans dar. Er erklärt ihm einige philosophische Ideen
sowie einiges über seinen Vater. Schnier und Marie leben
einige Zeit in einer glücklichen, unkonventionellen außerehelichen
Beziehung. Die Heirat der Beiden scheitert an der schriftlichen
Zusage Hans Schniers, seine Kinder katholisch erziehen zu lassen.
Nach sechs Jahren verlässt Marie Hans dann schließlich
und heiratet einen hochangesehenen Katholiken. Diesen Verlust
überwindet Hans endgültig nicht mehr. Wider besseren
Wissens fängt er an zu trinken. Dem übermäßigen Alkoholkonsum
folgt der künstlerische Zusammenbruch. Die Engagements
werden immer rarer und Hans muss sich mit immer kleineren
und schäbigeren Hotelzimmern begnügen. Zu dem fortschreitenden
seelischen sowie wirtschaftlichen Abstieg kommen auch noch körperliche
Schmerzen Schniers. In seiner Wohnung angekommen, die Ihm von
einem Mäzen gestellt wird, versucht er telefonisch Kontakt
zu alten Freunden, seinem Bruder und seinen Eltern aufzubauen.
Der Clown, der sich völlig verzweifelt und alleingelassen
fühlt, hofft auf finanzielle Unterstützung. Zu jedem
Angerufenen ruft sich Hans eine Geschichte ins Gedächtnis.
Schließlich besucht ihn sein Vater. Es kommt zu dem ersten
Vater-Sohn Gespräch der Beiden. Dies befriedigt den Clown
aber nicht. Die Aussprache missglückt. Der Vater, mit einflussreichen Kontakten zum Theater, rät seinem Sohn
zu einem halbjährigen Training, um wieder alte Größe
zu erreichen. An den finanziellen Vorstellungen der väterlichen
Unterstützung scheitert dann das Gespräch.
Während seines inneren Monologs enttarnt der Clown die Gegenwart
als nicht verwundene Fassade der Vergangenheit. Praktische Beispiele
kann er genug benennen, was in Ihm den Hass auf diese gesamte
Gesellschaft aufkommen lässt. So verzeiht er es seiner
Mutter nicht, dass sie seine Schwester als Flakhelferin an
die Front geschickt hat, wo diese kurz drauf umkommt.
Teils ironisch macht er sich nun über den Einsatz der Mutter
im "Komitee zur Aussöhnung rassistischer Gegensätze"
lustig. Dies bezeichnet die Fassade der Gegenwart. Genauso sehr
regt es Ihn auf, dass sein ehemaliger nationalsozialistisch
angetaner Lehrer heute das Bundesverdienstkreuz für demokratische
Erziehung erhält.
Zu guter Letzt, gänzlich verarmt und enttäuscht von
der verlogenen und institutionalisierten Gesellschaft macht sich
Hans auf zum Bahnhof. Hier inmitten des Fastnachttrubels fängt
er an mit seiner Gitarre etwas Geld zu erbetteln und hofft Marie,
die gerade vom Papstbesuch zurückkehrt, noch einmal wiederzusehen.
Der Roman ist in 25 Kapitel unterschiedlicher
Länge aufgeteilt. Zu etwa 70 Prozent besteht das Buch aus
dem inneren, rückblickenden Monologs des Clowns. Die restlichen
30 Prozent nutzt Böll für die äußere Handlung
wie Telefonate oder den Besuch des Vaters. Die 25 Kapitel sind
annähernd gleich aufgebaut. In jedem Kapitel paaren sich
Erinnerungen mit reflektierter Bewertung der damaligen Ereignisse
sowie der aktiven Handlung. Angeregt werden seine Erinnerungen
durch eine äußere Stimulation wie Gerüche, die
notwendigen Telefonate oder ähnliches.
Durch die Eigenheiten des Clowns und das interessante Wechselspiel
zwischen Zurückgezogenheit in der Wohnung und verzweifelter
Kontaktaufnahme übers Telefon, schafft es Böll dem Clown
eine ganz eigene Sensibilität und Glaubhaftigkeit zu verleihen.
Durch den Sprung durch die verschiedenen temporalen Ebenen, aber
die eigentlich lokal beständige Plattform der Wohnung entsteht
ein eigentümliches Gefühl. Der Ort wird lediglich fiktiv
über das Telefon verlassen. Böll gelingt es, den Leser
Hans´ Erzählungen folgen zu können. Hans lebt nur
in Erinnerungen. Dies drückt sich in seinen eigenen Aussagen
aus: "Ich bin ein Clown....und sammle Augenblicke"
Thematisch ist der Roman in drei Teile mit fließenden Übergängen
gegliedert. Es werden die drei Entwicklungsstufen, die Hans an
dem Tag der Erzählung durchlebt, beschrieben. Zu Beginn
betrügt Hans sich selbst, ist sich dessen und der fatalen
Folgen jedoch auch bewusst. Er redet sich ein, Marie habe
ihn nicht aus freien Stücken verlassen, sondern sie sei ihm
weggenommen worden. Seinen sozialen Abstieg erkennt er, jedoch
sucht er die Schuld bei Anderen. Im 13. Kapitel jedoch erkennt
Hans endlich seinen Fehler. "Marie war weggegangen, aber
wenn sie hätte bei mir bleiben wollen, hätte keiner
sie zwingen können, zu gehen." Aus dieser Erkenntnis
folgt eine weitergehende Überlegung, die die zweite Entwicklungsstufe
beschreibt. Hans unterzieht seine Sicht einer kritischen Überprüfung.
Zusätzlich wirkt die Begegnung mit seinem Vater auf ihn ein.
(s. u.) Im 18. Kapitel bekennt sich Hans noch einmal deutlich
zum Ernst seiner Lage. Die Ausweglosigkeit ist ihm durchaus bewusst.
"Ich wurde mir allmählich über den Ernst meiner
Situation klar. Manchmal weiß ich nicht, ob das, was ich
handgreiflich realistisch erlebt habe, wahr ist..." Hier
wirft Hans mit bemerkenswerter Leichtigkeit das Problem auf, dass er nicht weiß, was Wirklichkeit ist. Mit dieser Erkenntnis
kann der Clown nun alles bisherige und vor allem seine Erinnerungen
hinterfragen und muss zu der Erkenntnis kommen, dass er sich nichts sicher sein kann,
dass es nichts Sicheres
gibt, und somit auch diese Gesellschaft nicht legitimiert sein
kann. Die Flucht aus dieser Welt ,und die stetig steigende Fixierung
in eine Traumwelt bilden schließlich den Abschluss in Hans´ Entwicklung, die schließlich in das weltfremde
Betteln an Sich führt. Dass der Clown in seiner Traumwelt
lebt wird deutlich, als er bei der ersten Münze erschrickt.
"Ich erschrak, als die erste Münze in meinen Hut fiel..."
Satirisch provokant bereitet Hans seinen "Untergang"
vor. So besorgt er sich ein Brikett, auf dem der Familienname
eingedruckt ist. Hiermit möchte er der Gesellschaft (repräsentiert
durch die Ordnungsorgane) verhöhnen und beweisen, dass er mit ihren Regeln spielt. Außerdem komponiert er seine
Balladen annähernd blasphemisch.
Höhepunkt der Geschichte ist mit Sicherheit der Besuch des
Vaters in Kapitel 15. Dieser Teil unterscheidet sich formell von
dem übrigen Roman. Die aktive Unterhaltung tritt plötzlich
in den Vordergrund. Der Clown kommt aus seinem inneren Monolog
heraus. Das einzige und eigentlich verabscheute Anliegen liegt
plötzlich im Geld. Dennoch kommt es zu einer Annäherung
zwischen Vater und Sohn. Im Gegensatz zu den anderen Erinnerungen
findet der Monolog nur einmal statt und wird nicht mehrmals in
das Bewusstsein des Clowns gerufen. Dies drückt die
Wichtigkeit der Unterredung aus. Es ist die Kontaktaufnahme der
Außenwelt mit dem in sich gekehrten, gesellschaftskritischen
Clown. Hier wird der Versuch einer Annäherung unternommen,
von Vaterseite aus, die sich der Sohn in der Vergangenheit sicherlich
herbeigesehnt hatte. Vor allem der Vater räumt ein, dass er nicht makellos ist und macht auch deutlich,
dass die Beiden
voneinander abhängig sind. Nun aber zerbricht alles am leidigen
Geld, obwohl die Ideen der Beiden gar nicht so weit von einander
entfernt liegen.
Das darauffolgende Kapitel 16 macht das Zweifeln des Clowns deutlich.
Es beginnt mit den Sätzen : "Ich kam mir dumm vor, als
ich in die Wohnung zurückging, die Tür schloss.
Ich hätte sein Angebot, mir Kaffee zu kochen, annehmen sollen
und ihn noch etwas festhalten sollen. Im entscheidenden Augenblick,
wenn er den Kaffee servierte, glücklich über seine Leistung
diesen eingoss, dann hätte ich sagen müssen: "Raus
mit dem Geld"" Hier stellt sich der Clown endlich die
Frage, ob er sich nicht anpassen sollte, um seine Interessen durchzubekommen.
Trotz dieses Zweifels bleibt er seinen Idealen jedoch treu. Im
22. Kapitel jedoch wird dem Clown klar, in welch desolate
Situation er sich selbst gebracht hat. "Jeder Versuch die
Marionettenfäden wieder zu knüpfen und mich daran hochzuziehen,
würde scheitern. Irgendwann würde ich soweit sein, dass ich Kinkel anpumpte, auch Sommerwild und sogar diesen Sadisten
Fredebeutel, der mir wahrscheinlich ein Fünfmarkstück
vor die Nase halten würde und mich zwingen zu springen. Ich
würde froh sein, wenn ich Monika Silvs zum Kaffee einlud
, nicht, weil es Monika Silvs war, sondern wegen des kostenlosen
Kaffees. Ich würde die dumme Bela Brosen noch einmal anrufen,
mich bei ihr einschmeicheln und ihr sagen, dass ich nicht
mehr nach der Höhe der Summe fragen würde, dass jede, jede Summe mir Willkommen wäre, dann - eines Tages
würde ich zu Sommerwild gehen, ihm "überzeugend"
dartun, dass ich reumütig, einsichtig sei, reif zu konvertieren,
und dann würde das fürchterlichste kommen: eine von
Sommerwild inszenierte Versöhnung mit Marie und Züpfner"3
In dieser Aussage faßt der Clown zusammen, was er an dieser
Gesellschaft so verabscheuenswert findet. Das Anpassen in diese
Gesellschaft würde ihm regelrecht das Rückgrat brechen
und jegliche Würde nehmen. Zusätzlich kommt hier noch
das Unverständnis für seinen Bruder Leo hinzu, der zum
katholischen Glauben konvertierte, seine geliebte Marie, die sich
auch dem Katholizismus mehr als notwendig unterwirft und die nicht
geahndeten Naziverbrecher. Böll manifestiert das Unverständnis
des Clowns auf die gesellschaftlichen Diktate der katholischen
Kirche, deutlichst ausgedrückt bei der Hochzeit zwischen
Hans und Marie, den Exerzitien Monikas Silvs, der angedrohte Strafe,
falls Leo seinen Bruder noch nach neun Uhr besuchen wollte, und
der bestrafte Mönch, der Telefondienst machen muss.
Dieser ist Hans jedoch regelrecht sympathisch, da dieser auf seine
Art die katholische Kirche infiltriert. Die ungerechtfertigte
Strafe nutzt er, um das Telefonkonto der Kirche zu belasten. In
meinen Augen ist dieser Mönch der Gegenpol zum Clown. Er
hat sich zwar angepasst, innerhalb des Systems jedoch lehnt
er sich auf und schafft es daher weitgehend unbehelligt und vor
allem aufrecht sich durchzuschlagen.
Der Clown dagegen verliert alles, was er hat, Würde, Halt
und Besitz und hat damit nichts mehr zu verlieren. Frei kann er
sich dennoch nicht fühlen. Viel zu sehr ist er gefangen in
seinen Erinnerungen und durch sein Gerechtigkeitsgefühl,
das ihn immer wieder an diese schlechte Welt erinnert. Aus dem
Konflikt zwischen dem Versuch, das System durch seine Kunst zu
verändern und die Ablehnung der Gesellschaft zerbricht der
Clown und macht sich auf zum Bahnhof.
Interessant fand ich Bölls Beschreibung von Wirklichkeit
und Fiktion sowie der mannigfaltige Druck von unterschiedlichen
Seiten auf das Individuum.
Sprachlich gibt sich der Roman eher schlicht, jedoch durchaus
noch modern. Dies liegt wohl daran, dass er relativ jung
ist. Böll beschreibt alles aus der Sicht eines satirischen
Clowns. mit dieser Künstlerbrille betrachtet kommen satirisch/ironisch
anmutende Sätze zustande: Der Clown bedient die Menschen,
Die Hauptaufgabe des Clowns ist es nun einmal Menschen zu studieren.
Dieses Bedienen macht Böll am Beispiel eines ausgleichenden Automaten deutlich.
Die schlichte, teilweise wiederholende Wortwahl unterstreicht
die desolate Situation des Clowns glaubhaft, verbindet aber zusätzlich
auch das ironische Element und die naive Kinderwelt, in der der
Clown lebt mit der Realität.
Besonders einprägsam wird das Wort "katholisch"
wiederholt. Zusätzlich spielt Böll noch mit dem Ka,
Ka, Ka,- Wort (Ka- nzler und Ka-tholon). Ein wenig grotesk wirkt
dieses Wortspiel. Es erfüllt keinen erkennbaren Zweck. Die
ironische Gesellschaftskritik könnte Böll damit nochmals
hervorgebracht haben.
Durch den permanenten Wechsel von Erzählung und Echtzeit
erzeugt Böll geschickt den Sprung zwischen Fiktion und Realität,
was zu einer Vermischung, fast zu einer Auflösung der beiden
Zustände führt, so wie es der Clown letztendlich auch beschreibt.
"Lernen können sie
an diesem Buch, wie rasch in unseren Zeiten ein Roman zum historischen
Roman wird" - so kommentiert Böll den Roman mit einem
Abstand von 22 Jahren. Dieser Aussage möchte ich mich anschließen.
Mit dieser Tatsache allein, dass ein Roman den vergangenen
Augenblick aus Sicht der Lebenden und Denkenden, statt aus dem
scheinbar objektiven Blick der Wissenschaftler und Geschichtsbücher,
festzuhalten, hat der Clown seine Existenzberechtigung. Selbst
als informierter "19-20 jähriger Abiturient" kann
ich mir kein Bild des Deutschlands zwischen 1940 und ´65
machen. Daher ist es mehr als hilfreich den subjektiven Eindruck
dieses Gesellschaftsgefüges zu erlangen. Böll bringt
sehr spielerisch in der Person des Clowns das "Gute Gewissen"
zum Vorschein. Der Clown zeigt, an welchen Mauern der institutionalisierten
Konventionen und des Gruppenzwangs er aneckt. Die Würde des
Individuums entlarvt Böll als zum Scheitern verdammt. Doch
Bölls Roman enthält nicht nur Kritik an der Gegenwart,
sondern auch am Umgang mit der Vergangenheit. Er enttarnt die
Gegenwart als leere Fassade der Vergangenheit. Hinter allerlei
Ungerechtigkeiten versteckt jeder seine "Jugendsünden".
Das empörendste Beispiel ist wohl der Nazi, der nun das Bundesverdienstkreuz
erhält. Verständlich ist dadurch, dass Bölls
Buch heftige Kritik hervorruft. Schließlich geht es nicht
um die enttäuschte Liebe und den Zusammenbruch eines Künstlers.
Dies ist ein fingiertes Einzelschicksal. Vielmehr geht es um Bölls
Rundumschlag und das Anprangern, die Vergangenheit nicht zu vergessen.
Dies war in den 60er Jahren hochgradig provokativ. Das Nazideutschland
war erfolgreich verdrängt, und da sich jeder moralisch belastet
fühlt, fühlt sich auch jeder angegriffen. Und gerade
hier schlägt Böll eine Wunde und entlarvt die gültige
Moral als Lüge. Nahezu selbstverständlich gehen alle
mit der Geliebten des Vaters um. Mit der gleichen
Selbstverständlichkeit werden die übrigen Ungerechtigkeiten
akzeptiert. Doch, was kümmert dies die Abiturienten am Ende
des aktuellen Jahrzehnts? Mögen die Zeit und die Institutionen
sich geändert haben, der Sachverhalt bleibt der Selbe. Eingezwängt
in ein Korsett von Konventionen gelingt es nur sehr schwer, ein
Individuum zu bleiben. Neben der historischen Komponente bleibt
die Gesellschaftskritik bestehen. Böll gelingt es, mich als
Leser in den Erzählfluss zu verwickeln. Es ist mir besonders
stark aufgefallen Sympathie und Antipathie mit Hans zu spüren,
obwohl die Person des Clowns auf den ersten Blick surreal anmuten
mag. Doch bei näherer Betrachtung werden Parallelen erkennbar.
Diese wirken natürlich überspitzt, wie es die Aufgabe
eines Autors ist, dennoch kann ich nicht leugnen, sie zu kennen.
Ich glaube, dies macht es besonders leicht, den Clown zu verstehen.
Der durch seine Beziehung enttäuschte, von seiner Familie
verstoßene, von der Gesellschaft gefeierte, aber auch belächelte
ruhelose Clown enthält doch alle Komponenten, die jeder,
als Individuum angesehene Mensch auch kennt.
"Ansichten eines Clowns" wirken also in vielen Bereichen,
bis hin zur Selbsthinterfragung. Bei dieser Selbstbefragung lautet
der logische Schluss, dass ein "Clown" in
dieser Gesellschaft nicht bestehen kann. Doch statt bettelnd am
Bahnhof auf seine Liebe zu hoffen, muss der Aufruf heißen,
diese Gesellschaft vom Gruppenzwang loszulösen und mehr "clownsein"
in den Alltag zu bringen. Wer Böll jedoch ankreidet, der
Clown sei resigniert und die Botschaft laute deshalb, es habe
keinen Zweck aufrecht zu bleiben, muss widersprochen werden.
Dann ist die Aussage in meinen Augen gänzlich missverstanden.
Denn gerade die Bahnhofsszene macht doch Mut, selbst als gefallener
noch seine Schnippigkeit gegenüber der Gesellschaft zu bewahren.
Ich denke, "Ansichten eines Clowns" unterstützt
nur eine Meinung oder Auffassung vom Leben. Es kann keine gänzliche
Wende herbeiführen. Dies ist wohl auch der Grund, warum Böll
von den Kritikern mal als zu extrem, mal als zu gemäßigt
gewertet wird. Im "Clown" erkennt man wohl nur, was
man erkennen möchte. Dies bedeutet auf der anderen Seite
auch, dass man die "Ansichten eines Clowns" mit
seinen eigenen vergleicht. Daher glaube ich, kann man den Roman
nur verstehen, wenn die eigenen Ansichten sich mit denen des Clowns
decken. In einer gewissen Weise kommt mir der Clown bekannt vor.
Dies ist auf der einen Seite ein Lob für mich, da ich weiß, dass ich Individuum bin, auf der anderen Seite jedoch auch
mahnend, da ich den Abstieg des Clowns bereits kenne, wie auch
er in von Anfang an vorausgesehen hatte.
Doch Böll propagiert nicht ausschließlich das abgeschottete
Individuum. Der Untergang des Clowns hätte mit Sicherheit
verzögert werden können, wenn Hans es sich nicht u.
a. mit seinen Eltern verdorben hätte.
Nach allem muss ich sagen, dass mir der Roman eine Bestätigung
gegeben hat. Leider fehlt mir im Moment noch der Abstand, um zwischen
dem Roman und mir detailliert vergleichen zu können. Während
ich über das eben geschriebene fliege, muss ich zugeben, dass ich nicht weiß, ob meine Definition des Romans
die Reale ist. Denn wie stellt der Clown fest: "Das was andere
Non-Fiction nennen, kommt mir sehr fiktiv vor."