Thomas Mann wurde am 6.6. 1875 in Lübeck geboren und starb am 12.8. 1955 in Zürich. Er war ein deutscher Schriftsteller. 1896-98 hielt er sich mit seinem Bruder Heinrich Mann in Italien auf; 1898/99 Redakteur des 'Simplicissimus'; ab 1905 verheiratet mit Katia Mann, sie war eine geborene Pringsheim (geboren 1883, gestorben 1980; 'Meine ungeschriebenen Memoiren', hg. 1983); zunächst Verteidiger des kriegführenden Wilhelmin. Reiches ('Betrachtungen eines Unpolitischen', 1918) bekannte er sich nach 1922 zur Republik. Lebte 1933-39 in der Schweiz (1936 nach Ausbürgerung tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft), 1939-52 in den USA (ab 1944 amerikanischer. Staatsbürger), 1949 Reise in das geteilte Deutschland (Verleihung der Goethe-Preise der Städte Frankfurt am Main und Weimar), ab 1954 in Kilchberg bei Zürich.- In der Tradition der großen Realisten des 19. Jh. stehend, gehört sein Erzählwerk zur Weltliteratur des 20. Jh. Von den frühen Novellen ('Tonio Kröger', in: 'Tristan', 1903; 'Der Tod in Venedig', 1912) bis zu seinem Alterswerk ('Doktor Faustus. Das Leben des dt. Tonsetzers Adrian Leverkühn erzählt von einem Freunde', R. 1947; 'Die Entstehung des Doktor Faustus. Roman eines Romans', 1949) reflektiert M. mit deutlichen. Bezug auf die Philosophie Nietzsches und unter Einsatz der Technik des Leitmotivs das Spannungsverhältnis zwischen humanistischer Aufklärung und ästhetisierendem Verfallsdenken oder den Widerspruch zwischen bürgerlichen Leben und Kunst. Im Unterschied zu dem unmittelbaren Erfolg der Romane seines Bruders Heinrich gewann Thomas Mann erst mit dem Roman 'Der Zauberberg' (1924) an Wirkungsbreite; für seinen ersten Roman 'Buddenbrooks. Verfall einer Familie' (1901) erhielt er 1929 den Nobelpreis; auch zahlr. Essays zu literarischen, philosophischen. und politischen Fragen (u.a. 'Achtung Europa! Aufsätze zur Zeit', 1938).
Weitere Werke: Königliche Hoheit (R., 1909), Joseph und seine Brüder (R.-Tetralogie, 1933-43), Lotte in Weimar (R., 1939), Der Erwählte (1951), Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (Teildruck 1922, vollständig 1954), Tagebücher (hg. 1977-92)
Die Novelle "Mario
und der Zauberer" von Thomas Mann spielt in Italien am Tyrrhenischen
Meer - genauer gesagt in Torre di Venere - und handelt von einer
vierköpfigen, deutschsprachigen Familie, die im Italien der
20er Jahre unseres Jahrhunderts ihren Sommerurlaub verlebt und
die eine als Zauberveranstaltung deklarierte Show, die ein gewisser
Cavaliere Cipolla leitet, der sich selbst Illusionista (Zauberkünstler)
nennt, besucht.
Eine vierköpfige Familie, deren Vater der Erzähler (bzw.
der Sprecher) ist macht Urlaub im italienischen Seebad Torre di
Venere, das um diese hochsommerliche Zeit vor allem von italienischen
Badegästen gut besucht ist. Das Treiben in Torre kann man
nach den Erzählungen des Vaters als recht hektisch einstufen.
Zuerst ist die Familie, der neben Vater und Mutter noch eine achtjähriges
Mädchen und ein kleiner Jung angehören, im "Grand
Hotel" einquartiert. Da um diese Jahreszeit fast ausschließlich
Italiener in diesem Hotel wohnen, kommt sich die deutschsprachige
Familie wie ein Gast zweiter Klasse vor. Als das Hotelmanagement
dann auch noch die Bitte an sie heranträgt, in einem anderen
Hoteltrakt umzuziehen, da eine (italienische) Adlige durch den
abklingenden Keuchhusten der zwei kleineren Familienmitglieder
ihre eigenen Kinder in Gefahr sieht, obwohl ein Arzt versichert
hat, dass der Husten der Kinder nicht ansteckend sie, zieht
die Familie in eine kleine Pension, die sie daher kennen, das
die vier dort schon vermehrt gespeist haben.
Die Familie bekommst immer wieder den Nationalstolz der Italiener
zu spüren. Kleine Spitzen seitens der italienischen Strandbevölkerung
lassen den Familienvater am eigenen Leib erfahren, dass er
kein Italiener ist, sondern ein Fremder. Aus diesem Grunde kann
sich bei ihm kein richtiges Wohlgefühl einstellen.
Die Tatsache, dass die achtjährige Tochter nackt am
Strand kniet, um ihren Badeanzug auszuwaschen, löst bei den
italienischen Badegästen enorme Empörung aus. Es kommt
sogar soweit, dass ein Mann, der in diesem Handeln einen
Angriff auf die Gastfreundschaft Italiens sieht, die Polizei ruft.
Nachdem die Polizei dieses Vergehen als relativ schwerwiegend
eingestuft hat müssen 50 Lire Sühnegeld bezahlt werden.
Es kommen Gedanken seitens der Familie auf abzureisen, die dann
allerdings verworfen werden.
Eine wohltuende Veränderung tritt ein, als mehr und mehr
internationale Gäste anreisen, denn die Hochsaison für
die italienischen Urlauber neigt sich mittlerweile dem Ende zu.
Den mit der Zeit überall hängenden Plakaten ist zu entnehmen, dass ein Zauberkünstler namens Cavaliere Cipolla bald
Station in Torre die Venere machen wird. Die zwei Kinder sind
sofort von der Sache angetan, und so kommt es, dass die vier
kurze Zeit später der Vorstellung bewohnen.
Ziemlich schnell wird klar, dass es sich hier nicht um eine
Zaubervorstellung handelt. Der verkrüppelte Cipolla zeigt
deutlich, dass man mit richtig angewendeter Rhetorik und
gekonnter Hypnose die Psyche einzelner Zuhörer, sowie der
ganzen Zuhörerschaft beeinflussen kann. Mit Hilfe dieser
Mittel sowie einer Reitpeitsche, die er durch die Luft schnalzen lässt, zieht er die Hörerschaft in eine Art Bann
und nutzt diesen, um einige imponierende und interessante Darbietungen
aufzuführen. Dies allerdings immer auf Kosten von Teilen
des Publikums.
Während der zehnminütigen Pause überlegt die Familie
zu gehen, zumal es schon sehr spät ist und die Kinder müde
sind; da die Kinder aber nicht vorzeitig die Vorstellung verlassen
wollen, entschließt man sich noch zu bleiben.
Nach der Pause legt Cipolla erst richtig
los. Immer wieder macht er Scherze, auf Kosten einzelner Besucher,
die er fast peinlich vor allen Zuschauern bloßstellt. Schließlich lässt
er einige Personen aus dem Publikum anfangen zu
tanzen. Er hat eigentlich leichtes Spiel mit der Zuhörerschaft,
was die psychische Beeinflussung angeht. Allerdings stößt
er bei einem Herrn, der sich nicht beeinflussen lassen will auf
vehementen Widerstand. Es kostet der Rhetoriker Cipolla einige
Bemühungen, diese Opposition auszuschalten und den Widerstand
zu brechen.
Nun wird Mario, der der Familie als Kellner bekannt ist auf die
Bühne gebeten. Durch geschickte Kombination von Hypnose,
Einredungskünsten und der Reitpeitsche entlockt Cipolla dem
jungen Mann die intimsten Wünsche, die er vor der gesamten
Zuhörerschaft preisgibt. Der Illusionista gaukelt Mario vor,
er sei das Mädchen Silvestra, wegen dem Mario Liebeskummer
hat, und treibt ihn sogar soweit, dass dieser ihn küsst.
Unter schallendem Gelächter verlässt Mario die
Bühne. Getrieben von Pein zieht er eine Waffe und erschießt
Cipolla. Wie erleichtert und befreit verläßt die Familie
fluchtartig den Schauplatz des Geschehens.
Soweit dem Text zu entnehmen
ist, würde ich sagen, dass man Mario in die Kategorie
der Träumer einordnen könnte.
Mario ist 20 Jahre alt. Durch
sein Auftreten und sein Äußeres wirkt er schwermütig,
keinesfalls aber brutal, was für seine spätere - man
möchte ja fast sagen Wandlung - von enormer Bedeutung ist.
Mario ist untersetzt gebaut, besitzt eine niedrige Stirn mit schweren
Lidern über den Augen, welche grau sind, aber grün-
und gelbliche Einschläge haben. Seine leicht eingedrückte
Nase wird von einigen Sommersprossen geziert. Außerdem verfügt
er über dickliche fast wulstige Lippen. Mario hat schmale
feine Hände, die in Italien als besonders nobel gelten. Sein
Haar trägt er kurzgeschoren.
Wenn Mario nicht gerade seine Dienstkleidung, also seine Kellneruniform
anhat, die ihm übrigens gut steht, trägt er eher einfache
Kleidung. Zur Vorstellung kleidet ihn ein verschlossenes Complet
von Jacke und Hose, dazu ziert ein Seidentuch seinen Hals.
Er stammt aus einfachen Verhältnissen, sein Vater ist ein
kleiner Schreiber im "Municipio", während seine
Mutter einfache Wäscherin ist. Er selbst hat früher
einmal in Portoclemente gearbeitet, ist aber nun als Kellner im
"Esquisito" tätig.
Er wird als manchmal leicht geistesabwesend beschrieben. Er hat
eine ernste, aber träumerische Art, manchmal sieht man ihn
zerstreut melancholisch lächeln, allerdings besitzt er eine
besondere Dienstfertigkeit im Beruf. Er verzichtet auf Liebenswürdigkeiten,
die nur darauf abzielen, zu gefallen. In der Damenwelt scheint
er nicht so richtig Erfolg zu haben.
Mario ist ein höflicher Mensch. Als er von Cipolla auf die
Bühne geholt wird, was ihm nicht so recht passt bedankt
er sich bei all denen, die ihm den Weg zur Bühne frei machen. dass dieser Mensch nur wenig später einen Mord begeht,
kann man eigentlich gar nicht glauben, aber Mario kann die Pein,
die der Virtuose Cipolla ihm zugefügt hat, indem er ihn gnadenlos
bloßgestellt hat, nicht ertragen.
Die Tatsache, dass Mario eine Waffe trägt, lässt darauf schließen, dass
er doch etwas gefährlicher
zu sein scheint, als man am Anfang annimmt.
Auf den Familienvater macht
der Hypnotiseur Cipolla den Eindruck eines Scharlatans. Er hat
etwas von den "marktschreierischen Possenreißern"
des 18. Jahrhunderts an sich.
Zu Cipollas Äußerem
ist zu sagen, dass er dessen Alter, dessen Alter schwer bestimmbar,
der aber gewiss nicht mehr jung ist, ein scharfes, zerrüttetes
Gesicht hat. Ferner wirkt sein Mund stechend. Cipolla besitzt
einen faltigen Mund und eine Vertiefung, genannt "Fliege",
zwischen Unterlippe und Kinn, sein kleiner Schnurrbart ist schwarz
gewichst, und seine Zähne sind splitterig. Seine Hände
sowie sein Gesicht haben einen gelblichen Teint. Cipolla ist verkrüppelt
- er hat schiefe Beine und einen Buckel. Erinnerungen an den Krieg
fürs "Vaterland", wie er sagt.
Cipolla trägt einen weiten, ärmellosen schwarzen Radmantel
sowie einen weißen Schal, der zu seinen weißen Handschuhen
paßt. Sein Kopf wird anfangs von einem Zylinder geschmückt.
Seine Kleidung sitzt, durch seine Verkrüppelung bedingt,
falsch gestrafft und fällt in grotesken Falten.
Über die soziale Situation dieses Mannes lässt sich nur sagen, dass er den Adelstitel "Cavaliere"
trägt. Unter dem Deckmantel des Zauberers übt er gnadenlose
Beeinflussung der Psyche seines Publikums aus.
Cipolla, der während seiner Darbietung sehr viel raucht und
trinkt, zeichnet sich durch strenge Ernsthaftigkeit aus. Er lehnt
"alles Humoristische" ab. Er besitzt eine große
Portion Selbstgefälligkeit sowie Stolz. Außerdem zeigt
er dem Zuschauer immer wieder seinen sehr stark ausgeprägten
Nationalstolz.
Cipolla hat Spaß daran, andere Menschen bloßzustellen
und seine Zuschauer gegen- einander auszuspielen. Mit gekonnter
Rhetorik, Massenhypnose, Rabulistik und Brutalität (Reitpeitsche)
kann er jeden Widerstand brechen. Dies sind im Übrigen die
typischen Merkmale eines Diktators. Als er merkt, dass sich
jeglicher Widerstand aufgelöst hat kommt Cipolla erst richtig
in Fahrt und beginnt seine Macht, die er bislang nur spöttisch
präsentierte, nun auch zu missbrauchen, und dringt in
die innersten Regungen und gut gehüteten Geheimnisse seiner
"Opfer" ein. Bei Mario geht er sogar soweit, seine Menschenwürde
zu beleidigen, indem er ihn in höhnischster Weise lächerlich
macht.
Das Geheimnis von Cipollas fragwürdigem Erfolg beruht zum
Teil auf seiner stark ausgeprägten Selbstsicherheit, mit
der er das Publikum in seinen Bann zieht, dem keiner entkommen
kann. Thomas Mann präsentiert uns Cipolla als willenbrechenden,
diktatorähnlichen Menschen.
DER ZAUBERVORSTELLUNG |
Das Publikum besteht größtenteils
aus den Bewohnern Torres, einige Gäste von außerhalb
sind auch dabei. Die einfachen Besucher befinden sich auf den Stehplätzen, während sich die "High Society"
auf Stühlen niedergelassen hat. Das Publikum hat viele Gesichter,
von den drei wohl am auffälligsten sind: zum einen ein Herr
aus Rom, der den Widerstand verkörpert. Er stellt sich gegen
die willensraubende Rhetorik Cipollas, muss aber dann klein
beigeben.
Zum anderen gibt es da den Jüngling,
der sich immer wieder anbietet, das Versuchsobjekt für
Cipolla zu spielen, und alles mit sich machen lässt.
Er verkörpert ganz eindeutig die breite Masse der Mitläufer.
Das dritte Gesicht ist das des Mario. Er tötet Cipolla, den
Peiniger. Er ist zu denen zu zählen, die erst nach der Erkenntnis
zum "aktiven Widerstandskämpfer" werden.
Es besteht eine gewisse
Beziehung zwischen Mario und der Familie. Mario bedient die Familie
einige Male im Café "Esquisito", wobei vor allem
die Kinder, aber auch beide Elternteile eine relativ starke Sympathie
für den Kellner entwickeln. Was Mario über die Familie
denkt, erfahren wir nicht aus der Geschichte, aber da er die Kinder
einige Male anlächelt, was sonst nicht seine Art ist, scheint
er sie zu mögen.
Eine Wechselbeziehung im eigentlichen
Sinne zwischen der Familie und dem Hypnotiseur Cipolla besteht
nicht, allerdings wird auch die Familie in Cipollas zweifelhaften
Bann geschlagen.
Eine Verbindung besonderer Art besteht zwischen Mario und dem
Zauberer. Als Mario von ihm auf die Bühne geholt wird, stehen
sich die beiden zum ersten Mal gegenüber. Bedingt durch seine
Fähigkeiten, kehrt Cipolla recht schnell das Geheimste aus
Marios Gefühlswelt nach außen und macht sich darüber
lustig. Mario, der darüber in Raserei gerät tötet
den Verächter der Menschenwürde. Hier besteht eine sehr
starke Wechselwirkung, die nur aus der Sekunde heraus entstanden ist.
Thomas Mann will uns mit
der Novelle "Mario und der Zauberer" aufzeigen, wie
ein machtbesessener, diktatorischer Mensch zum Ziel kommen kann,
indem er auf Kosten Einzelner die Masse, oder besser die Mitläufer,
amüsiert und die Machtinstrumente eines Diktators einsetzt:
Rhetorik, um die Masse zu begeistern,
Rabulistik, um Augenwischerei zu betreiben, Massenhypnose, um
die Psyche der Einzelnen zu beeinflussen und Brutalität,
um sich Respekt zu verschaffen. Das Element der Brutalität
ist bei Cipolla seine Reitpeitsche, die er immer wieder bedrohlich
durch die Luft zischen lässt. Er bricht den Willen und
den Stolz jedes einzelnen, ganz nach dem Führerprinzip. Um
leichtes Spiel zu haben redet er den Leuten mit wortverdreherischen
Methoden ein, es würde ein Wohlgefühl eintreten, wenn
sie willenlos seien. Das Leben ist schließlich viel einfacher,
wenn man nichts zu entscheiden braucht - dies Einstellung ist
ja auch heute noch weit verbreitet...
Thomas Mann zeigt uns hier aber auch noch etwas anderes: Er erzählt, dass die Familie während der Pause darüber nachgedacht
hat, die Vorstellung zu verlassen, sicher auch wegen der Kinder,
aber höchst wahrscheinlich wegen der vorherrschenden Atmosphäre.
Und nach der Pause, so berichtet er weiter, legt Cipolla erst
richtig los, er ist sozusagen nicht mehr aufzuhalten. Ich bin
der Meinung, dass wir diese Pause sehr gut auf die herrschende
Situation Italiens übertragen können, hätte Cipollas
Publikum eine "Revolution" entfacht und die Vorstellung
während der Pause verlassen, wäre es nie soweit gekommen,
wie es dann tatsächlich gekommen ist. Hätte man sich
damals in Italien zur Revolution gegen Mussolini durchgerungen,
wäre es wohl nie zur Gleichsetzung von Faschismus und Staat
in Italien gekommen. Ohne es vorherwissen zu können hat Mann
auch einen Bezug zur deutschen Geschichte geschaffen: Hätte
die Bevölkerung damals 1935 gesagt: "Es reicht",
hätte sie, genau wie die Besucher von Cipollas Show, etwas
bewirken können.
Des weiteren zeigt Mann, dass die "Leidensfähigkeit"
eines jeden einzelnen sehr begrenzt ist und es irgendwann, bei
zu hoher Belastung zur Explosion kommt.
Die Handlung von "Mario
und der Zauberer" hat sich in ähnlicher Form wirklich
zugetragen. Es ist also eine "True Story". Sie basiert
auf dem Italienurlaub der vierköpfigen Familie Mann. Diese
Badeferien wurden vom 31. August bis zum 13. September des Jahres
1926 in Forte dei Marmi, was dem Torre di Venere der Novelle entspricht,
verlebt.
Thomas Mann beschreibt den Urlaub
in persönlichen Briefen in Hinsicht auf das Wetter und Strandleben
als gelungen, außerdem hatten die Kinder einen Riesenspaß.
Allerdings es an kleineren "Widerwärtigkeiten"
nicht gefehlt, die mit dem "unerfreuliche überspannten
und fremdenfeindlichen nationalen Gemütszustand zusammenhingen"
(Reclam, S. 25). Thomas Mann hat den aggressiven und arroganten
Nationalismus und die faschistischen Machenschaften Einiger am
eigenen Leib zu spüren bekommen.
Den Zauberkünstler, der allerdings nicht Cipolla hieß,
hat es in der Tat gegeben, und Thomas Manns Familie hat ihn sozusagen
live miterlebt. Aber in der Realität hat der Künstler
überlebt. Mann wurde erst durch seine Tochter darauf aufmerksam
gemacht, dass die Geschichte viel spannender wäre, wenn
Mario den Zauberer umbringen würde.
Die Erlebniserzählung "Mario und der Zauberer"
ist allerdings erst drei Jahre nach dem Italienaufenthalt und
fast zufällig entstanden. Die Manns verbrachten ihren Sommerurlaub
diesmal, im Jahre 1929 im samländischen Ostseebad Rauschen.
Thomas Mann hat zur Zeit gerade an seinem Werk "Joseph"
gearbeitet, hat aber keine Lust gehabt, das gesamte Manuskript
mit in den Urlaub zu nehmen. Da ihm das Nichtstun in den Ferien
allerdings nicht lag, hat er sich entschlossen, etwas, was "was
aus der Luft gegriffen werden konnte", zu schreiben, und
besann sich seines Italienaufenthaltes von 1926. Auf diese Weise
ist "Mario und der Zauberer" entstanden. Man kann sagen,
aus einem etwas Privatem, wie einem "tragischen Reiseerlebnis",
ist etwas "ethisch-symbolisches" von allgemeingültiger
Bedeutung entstanden.
Die Novelle ist in einer
Zeit überschwänglichen Nationalstolzes entstanden, Faschismus
wurde groß geschrieben. Thomas Mann spielt hier, wie allgemein
angenommen wird, auf die Machenschaften des "Duce Mussolini"
an.
Zum Zeitpunkt des Erscheinens
des Buches war Mussolini schon lange an der Macht. Im November
1921 wird der Kampfbund um Mussolini zur Nationalen Faschistischen
Partei mit dem Ziel, die Macht im Staate zu erlangen, umgewandelt.
1922 beginnt der faschistische Terror, nichtfaschistische, größtenteils
sozialistische und christliche, Bürgermeister werden zum
Rücktritt gezwungen, und am 28. Oktober marschieren etwa
40.000 Faschisten in Richtung Rom und tragen Mussolinis Staats-
streich zum Sieg. Am 31. Oktober übernimmt Mussolini die
Macht und wird Regierungschef, Außen- und Innenminister.
Im November verkündet er vor der italienischen Abgeordnetenkammer
das Ende der parlamentarischen Herrschaft. Gesetze zu Gunsten
der Faschisten werden verabschiedet, auch die Opposition wird,
nachdem das Freimaurerturm schon ausgeschaltet worden ist, verboten.
1929, im Entstehungsjahr von "Mario und der Zauberer",
werden Staat und Faschismus schließlich gleichgesetzt.
In Deutschland sind 1929 zwar schon nationalsozialistische Ideen
vorhanden, dass es aber zu einer Herrschaft des Faschismus
kommen wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen.
Obwohl Thomas Mann gerade einen Nobelpreis
erhalten hatte, als die Novelle zum ersten Mal in Buchform erschien,
konnte Thomas Mann keinen Bestsellererfolg mit der Erzählung
"Mario und der Zauberer erreichen.
Von namhaften Teilen der Deutschen Kritik ist der private Tonfall
der Erzählung gewürdigt worden, ebenso die kunstvolle
Ausgestaltung und Ästhetik der Novelle.
In Italien war das Gespür für die politische Brisanz
der Novelle viel stärker ausgeprägt und somit war
die Veröffentlichung der italienischen Übersetzung des
Textes in Italien verboten. Unter der nationalsozialistischen
Herrschaft wurde die Erzählung schließlich auch in
Deutschland verboten.
In der heutigen Zeit stellt der Leser aus seiner Geschichtskenntnis
heraus, automatisch eine Verbindung zwischen Novelle und
Faschismus her, während dies damals nicht möglich war,
da die Deutschen noch nicht mit ihm konfrontiert wurden.
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FORMELEMENT |
Thomas Mann hat mit "Mario und der Zauberer" einen - wie er es selbst nennt - Reisebericht geschaffen. Dieser Reisebericht ist nicht in Kapitel unterteilt, man kann ihn allerdings ganz deutlich in drei Abschnitte gliedern: Den ersten könnte man als Einleitung betrachten, der Rahmen der Handlung wird angesteckt. Es wird über die Örtlichkeiten und die Jahreszeit berichtet. Man wird mit der geographischen Lage des Handlungsgeschehens vertraut gemacht.
Dem folgt der zweite, durchaus längere
Teil. Hier wird uns mitgeteilt, wie das Urlaubsleben in Torre
aussieht. Die Hauptaussage dürfte wohl darin liegen, dass die Italiener ihren Nationalstolz in fast unangenehmer Weise Fremden
gegenüber zeigen.
Der dritte und letzte Abschnitt des Buches berichtet von der Zauberveranstaltung.
Anfangs könnte man meinen, es gäbe keine Verbindung
zwischen dem erstem und zweitem Teil zum dritten, aber es wird
dann mindestens im Nachhinein offen- sichtlich, dass die
drei Abschnitte durchaus zueinander passen. Es besteht eine ansteigende
Spannungskurve.
Ein weiteres augenfälliges Formelement ist, dass Thomas
Mann die Geschichte in der Ichform schreibt. Durch diese Form
ist der Leser der Geschichte gleich etwas näher.
In dem Buch finden sich durchaus Anmerkungen, aus denen man entnehmen
kann, dass in Zukunft etwas geschehen wird (z.B. "Wir
bekamen Gründe, dies freundliche und etwas zerstreut melancholische
Lächeln [des Mario] im Gedächtnis zu bewahren").
Um ehrlich zu sein, ging
ich da Buch "Mario und der Zauberer" etwas skeptisch
an, da mir von mehreren Seiten bereits berichtet worden war, das
Thomas Mann "unheimlich langweilig" zu lesen sei.
Um so angenehmer bin ich davon
überrascht worden, wie geschickt Thomas Mann seine Leser
an die Geschichte fesselt. Ich finde das Buch ferner dahingehend
gut, als dass es zeitlos ist. Es beschreibt den Aufstieg
und den Fall eines Diktators, in diesem Fall den des Zauberers
Cipolla
11 Punkte (Deutsch | Jahrgangsstufe 11)