Lesetagebuch zu "Der Untertan"
Von Ferdinand Berka

Heinrich Mann und sein Werk

Heinrich Mann wurde am 27. März 1871 in Lübeck geboren. Er absolvierte eine Buchhändlerlehre und unternahm 1885 bis 1887 erste poetische und erzählerische Versuche. 1890 hatte er seine erste Presseveröffentlichung. Es folgten einige Reisen, und im November 1918 nahm er an der Novemberrevolution teil. Im selben Jahr schrieb er auch den gesellschaftskritischen, satirischen Roman "Der Untertan". 1933 wurde er von Hitler aus der Akademie der Künste ausgewiesen und floh nach Frankreich. 1947 bis 1950 erlangte er verschiedene Würdigungen in der DDR. 1961 starb Heinrich Mann.
Mann verfasste die Trilogie "Das Kaiserreich. Die Romane der deutschen Gesellschaft im Zeitalter Wilhelm II". "Der Untertan" ist laut Heinrich Böll der beste Teil, der die beiden übrigen Romane "Die Armen" und "Der Kopf" in den Schatten stellt. Er kritisierte damit die damalige Gesellschaft.

 

Inhaltsangabe "Der Untertan"

Die Hauptperson des Romans "Der Untertan", Diederich Heßling, wird als Sohn eines Papierfabrikanten in Netzig geboren. Er genießt eine autoritäre Erziehung, die ihn sein Leben lang beeinflusst. Nach Beendigung der Schule zieht Diederich nach Berlin, um dort Chemie zu studieren. In Berlin wird er Mitglied einer Studentenverbindung, welche ihn ebenfalls prägt. Durch die Besuche bei Herrn Göppel, einem Freund seines Vaters, lernt er Agnes Göppel, die Tochter der Familie, kennen und baut eine Liebesbeziehung zu ihr auf. Auf Grund der Studentenverbindung wird Diederich vom Wehrdienst befreit; trotzdem behauptet er, seine Pflicht getan zu haben. Bei einer Demonstration von Arbeitslosen unter den Linden sieht er zum ersten Mal den Kaiser. Diederich ist sehr beeindruckt, und auch dieses Ereignis ist maßgebend für seine späteren Taten
Aus Angst vor einer festen Bindung und aus gesellschaftlichen Gründen drückt er sich vor der Heirat mit Agnes und flüchtet nach Netzig, um dort vor weiteren "Belästigungen" der Familie Göppel geschützt zu sein. Im Zug dorthin trifft er auf Guste Daimchen und erfährt von ihrer großen Erbschaft. Sie ist mit Wolfgang Buck, dem Sohn des in Netzig angesehenen und bewunderten alten Herrn Buck, verlobt, was Diederich dazu bewegt, sie über die Verhältnisse der Familie Buck aufzuklären.
Wieder zu Hause, beschließt er, das Geschäft des toten Vaters zu erweitern und übernimmt auf tyrannische Art und Weise sowohl die offizielle Leitung der Papierfabrik, als auch die Führung innerhalb der Familie.
Nach der Erschießung eines Arbeiters findet im Gasthof ein großes Treffen statt, wo der Fabrikant Lauer, der Schwiegersohn des alten Bucks, Majestätsbeleidigungen begeht. Jadassohn, ebenfalls Mitglied der Studentenverbindung, den Diederich beim Bürgermeister kennengelernt hat, veranlasst im Amt des Staatsanwaltes einen Prozess gegen Lauer, in dem Diederich als Hauptzeuge der Anklage auftreten soll. Die Tatsache, dass Diederich Lauer zur Beleidigung provoziert hat und gegen ihn aussagen soll, bringt ihm zunächst ein schlechtes Ansehen in Netzig ein. Durch eine bewegende Rede über Kaisertreue, die zur Verurteilung Lauers führt, verwandelt sich seine schlechte Stellung im Ort in eine gute, und Diederich fasst neuen Mut.
Aufgrund geschäftlicher Schwierigkeiten verbündet sich Diederich mit seinem politischen Feind, dem Sozialdemokraten und Maschinenmeister Napoleon Fischer. Weil Diederichs Ruf immer besser wird, werden seine Schwestern Emmi und Magda zur Frau des Regierungspräsidenten Wulckow eingeladen, um in deren Theaterstück mitzuspielen. Dort trifft er Guste Daimchen wieder und erfährt das wahre Ausmaß ihres Erbes (350.000 DM), worauf sein Interesse an ihr steigt und er sich um sie bemüht. Durch das Gerücht, Guste und Wolfgang seien Geschwister, bringt er sie in Verruf, um nach der Trauung des Paares Guste großzügig aufzunehmen und zu heiraten, um deren Erbe für seine Zwecke zu nutzen. Napoleon Fischer und Heßling schließen betreffend der Wahl zum Stadtverordnetenamt ein Bündnis und werden beide Stadträte. Klüsing, der Besitzer der Papierfabrik Gansenfeld, die sehr erfolgreich ist, vererbt der Stadt eine große Summe Geld, mit der ein Säuglingsheim gebaut werden soll. Diederich schlägt statt dessen den Bau eines Kaiserdenkmales vor, was auch Dank eines weiteren Bündnisses mit Fischer genehmigt wird. Im "Tausch" für das Denkmal wird Fischer Reichstagsabgeordneter.
Diederich verkauft sein Firmengrundstück und wird Generaldirektor von Gansenfeld, wobei Regierungspräsident Wulckow helfend eingreift.
Auf der Hochzeitsreise mit Guste erfährt Diederich von einer Reise des Kaisers und reist ihm nach, um immer an dessen Seite zu sein und ihn zu schützen.
Der alte Buck schädigt Diederich durch die Aussage, Diederich sei immer nur an Gansenfeld und nicht hauptsächlich an der Politik interessiert. Diederich rächt sich, indem er Bucks Stellung im Ort zerstört und das Gerücht betrügerischer Geschäfte verbreitet.
Diederich wird Vater dreier Kinder.
Bei der Ehrung des Kaiserdenkmals, als Diederich seinen großen Auftritt plant, setzt ein schreckliches Unwetter ein und Diederich erhält seinen Orden von einem Schutzmann in einer stillen Ecke.
Am Ende ist Diederich beim Tod des alten Buck anwesend, der ihn in Gestalt des Teufels wahrnimmt.

 

Aussage zur zentralen Thematik

Heinrich Mann stellt anhand des Portraits Diederich Heßlings die Zeit des Kaisers Wilhelm II um 1900 dar, speziell die an Diederich Heßling deutlich werdende Unterwerfung dem Kaiser gegenüber. Heßling soll wie sein Gegenspieler Wolfgang Buck als Typus für diese Zeit gelten.
Durch die genaue Darstellung der "Untertanwerdung", die bei der autoritären Erziehung Diederichs beginnt und von der Mitgliedschaft in der Studentenverbindung verstärkt und bei der ersten Begegnung mit dem Kaiser konkret wird, zeigt Heinrich Mann, wie die Unterwerfung zustande kommt. Er veranschaulicht aber nicht nur das Zustandekommen dieses Zustands, sondern auch dessen Folgen: Verlust der eigenen Persönlichkeit und das Sich Lächerlichmachens vor allen Menschen. Auch dies wird an Diederich Heßling gut sichtbar: Er gleicht sich erst äußerlich dem Kaiser durch den Schnurrbart an und übernimmt später sogar dessen Ausdrucksweise und wird somit zu einer Kopie Wilhelms II.
Das lächerliche Verhalten wird besonders deutlich, als Diederich auf seiner Hochzeitsreise dem Kaiser hinterher reist, um ihm auf Schritt und Tritt zu folgen.
Gerade durch die satirische Darstellung von Heßlings Verhalten übt Heinrich Mann Kritik an der Zeit und an der fanatischen Unterwerfung dem Kaiser gegenüber.

 

Darstellung des Romans

Die Zentralpunkte des "Untertans" werden episodisch in sieben Kapiteln dargestellt. Auffällig am Roman ist die Sprache, in der er geschrieben ist. Heinrich Mann wählt, um das vollkommene Untertansein Diederichs darzustellen, typisch deutsche Ausdrücke der damaligen Zeit, wie zum Beispiel "Wir scherzen nicht nur mit den heiligsten Gütern." Weiterhin benutzt er viele starke Verben, die eher dem Animalischen zuzuordnen sind, wie zum Beispiel fauchen, schnaufen, krähen und brüllen. Diese stehen meiner Meinung nach für den extremen Fanatismus, der alles Menschliche verdrängt. Die Projizierung, die Diederich vornimmt, wird mit weiteren tierähnlichen Ausdrücken, die Heßling für andere benutzt, deutlich. Dazu gehören: "frischgewaschenes Schweinchen, affenähnliche Arme, fette Gans usw.". Ein weiteres Beispiel für Motive sind die Verben, die im Zusammenhang mit dem Kaiser auftauchen ("blitzen, funkeln, blenden"). Die Verwendung von typischen und motivischen Ausdrücken zieht sich durch den gesamten Roman.
Was mir am meisten auffiel, war, dass Mann viele Sätze unvollendet lässt oder viele Dinge nur andeutet. Dies tritt besonders auf, wenn Sexualität eine Rolle spielt: "Während sie neben ihm am Tisch zu tun hatte, war seine Hand verschwunden". Im großen und ganzen ist "Der Untertan" in einem gut verständlichen Deutsch geschrieben.

 

Charakterisierung Diederich Heßlings

Ich würde Diederich Heßling als charakterschwach, berechnend und feige bezeichnen.
Alle Wesenszüge, die im Roman offensichtlich werden, sind in seiner Kindheit verwurzelt. Diederich erfährt eine autoritäre Erziehung, die größtenteils vom Vater ausgeht und von der scheinbar gefühlvolleren Mutter ausgeglichen wird, was allerdings nur auf den ersten Blick so scheint. Er wird von Anfang an dazu erzogen, die Macht zu verehren. Er hat eine ehrfürchtige Angst vor dem Doktor, dem Schutzmann und vor allem vor dem alten Herrn Buck, der als regelrechter Halbgott beschrieben wird. Seine berechnende Art kommt schon in der Schule zum Vorschein: Er weint nur, wenn er einen Vorteil daraus ziehen kann und benutzt dieses oft auch als Mittel zum Zweck. Auch seine feige Weise kommt gut heraus, indem er beim Schule Spielen immer den tyrannischen Lehrer spielt. Dieses Verhalten spiegelt sich auch später in seinem Familienleben wider. Seine Gefühlskälte und sein Egoismus werden besonders in der Beendigung der Beziehung zu Agnes deutlich. Als sie keine gute Partie mehr ist und ihn beim Lernen stört und zudem durch ihn keine Jungfrau mehr ist, wird sie kaltherzig abgestoßen. Aus Angst, weiterhin damit konfrontiert zu werden, flüchtet er nach Hause, was auch seine Feigheit betont. Seine angeblich so starke nationale Gesinnung kann er auch vergessen, wenn er zum Beispiel mit dem Sozialdemokraten ein Bündnis schließt, um seine Ziele zu erreichen. Diese erreicht er nur, weil er diverse Leute, darunter seine Frau Guste, deren Erbschaft er benötigt, um weiterzukommen, für seine Zwecke missbraucht. Er kämpft mit unfairen Mitteln, wie zum Beispiel üblen Gerüchten, oder, indem er seine Schwester Magda an den Geschäftsmann Kienast "verkauft".
Die wichtigste und bezeichnendste Eigenschaft ist sicherlich Diederichs Charakterlosigkeit. Er hat nicht nur keine richtige eigene Meinung, er macht sich auch aus Machtversessenheit zur Kopie, zum Untertan des Kaisers. Er verdrängt seine komplette Persönlichkeit, um seinem Vorbild, dem Kaiser, näherzukommen. Erst geschieht dies nur äußerlich, indem er den Schnurrbart wie der Kaiser trägt. Später gibt er sich in fanatischer Weise dem Nationalismus hin und verändert sogar seine Ausdrucksweise, was soweit geht, dass er Wilhelm II wörtlich zitiert. Der Kaiser und dessen Anliegen sind Diederichs Lebensinhalt. Er vernachlässigt Frau und Familie, unterbricht seine Hochzeitsreise und nimmt sogar zeitweilige Verachtung in Kauf, nur um immer im Dienste des Kaisers zu stehen.
Sicherlich ist auch das Nacheifern seines Idols in seiner Kindheit verankert. Er hat nie gelernt, eine eigene Persönlichkeit zu haben, sondern ihm wurde immer nur Unterwürfigkeit und Ehrfurcht vor der Macht vermittelt, was er sein Leben lang nicht ablegt, sondern immer weiter praktiziert.
Wolfgang Buck sagt während des Prozesses über ihn: "Ich werde also nicht vom Fürsten sprechen, sondern vom Untertan, den er sich formt; nicht von Wilhelm II, sondern vom Zeugen Heßling. Sie haben ihn gesehen! Ein Durchschnittsmensch mit gewöhnlichem Verstand, abhängig von Umgebung und Gelegenheit, mutlos, so lange hier die Dinge schlecht für ihn standen und von großem Selbstbewusstsein, sobald sie sich gewendet hatten.

 

Eigener Kommentar

Insgesamt gesehen hat mir "Der Untertan" gut gefallen. Der Anfang, der sich am Schluss als sehr wichtig herausstellt, hat mich weniger fasziniert als der letzte Teil, in dem meiner Meinung nach der Fanatismus Diederichs verhöhnt und humoristisch dargestellt wird. Sehr interessant fand ich die Stellung der Frau, die mir im Buch eher wie eine Ware denn als Mensch erschien. Die Person Diederich Heßling ist mir zu extrem einseitig dargestellt; er ist ein typisches Beispiel für den aalglatten Mann, der sich z.B. im Dritten Reich von der Macht mitziehen lässt. dass Mann die Lächerlichkeit und nicht das Bemitleidenswerte dargestellt hat, gefällt mir gut, auch dass man einen Blick in die Kindheit wirft, hilft, ihn besser einzuschätzen und zu verstehen. Mein Problem bei diesem Buch lag darin, dass Mann oft undurchsichtige, verstümmelte Sätze liefert, so dass ich zeitweise den Faden verloren habe. Die einzige Frage, die sich mir stellt, ist die Bedeutung von Netzig. Ich denke zwar, dass dieser Ort nur ein Modell ist, trotzdem wundert mich die große Popularität einzelner Leute in Berlin. Aber dies ist sicher nur ein unwichtiges Detail.
Weiterhin habe ich eine Parallele zu Klaus Manns "Mephisto" entdeckt. Die Personen Diederich Heßling und Hendrik Höfgen weisen einige gemeinsame Charakterzüge auf: Beide sind extrem ehrgeizig, nehmen keine Rücksicht auf Verluste und sind charakterschwach. Sie richten ihre Meinung nach der herrschenden Situation. Auch ihre Beziehung zu Frauen ist ähnlich: Sowohl Heßling als auch Höfgen können keine Liebe empfinden und leben ihren Machtdrang an ihren Frauen aus, lassen sich aber beide von ihnen schlagen und empfinden dadurch eine gewisse Befriedigung.


Ferdinand Berka

11 Punkte (Leistungskurs Deutsch | Jahrgangsstufe 12 II)
© by Ferdinand Berka, 1998
Korrigiert von: Frau Muras