In seinem Roman "Die Angst
des Tormanns beim Elfmeter" erzählt Peter Handke von
den Erlebnissen Josef Blochs, eines ehemaligen Fußballspielers,
der nach dem Mord an einer Kinokassiererin sein Heil in der Flucht
sucht. Wohl gelingt es ihm, seinen Häschern zu entkommen
- doch den lähmenden Ängsten, die seine Tat nach sich
zieht, kann er nicht entrinnen.
Als bei seinem Eintritt in die Bauhütte seines Arbeitgebers
einzig der unwichtige Polier aufschaut, faßt der geschieden
lebende Bloch diese Ignoranz seiner Kollegen als Kündigung
auf und begibt sich in der Folgezeit auf eine orientierungslose
Odyssee durch die Straßen seiner Stadt.
Er vergnügt sich auf dem Naschmarkt, flirtet hier und da
ein wenig, residiert - trotz eigener Wohnung wohlgemerkt - in
einem Hotel und zeigt sich selbst Schlägereien gegenüber
nicht gänzlich abgeneigt. Während eines Kinobesuches
lernt er die Kassiererin Gerda kennen, begleitet sie nach Hause
und verbringt mit ihr die Nacht.
Am nächsten Morgen kann Bloch sich nur noch bruchstückhaft
des Geschehenen entsinnen, bringt in tranceartiger Verfassung
die Gespielen schließlich um.
Es folgt die Flucht per Bus in einen Grenzort. Bloch redet sich
ein, gar kein Fliehender zu sein sondern ein gewöhnlicher
Mann auf Besuch bei einer alten Freundin. Gleichwohl fühlt
er sich auf der Fahrt von tausend Augen beobachtet, ein übertrieben
unauffälliges Verhalten ist die Folge. Bis auf einen Ausrutscher
im Gespräch mit einer Mitreisenden unterlaufen Bloch aber
keine größeren Fehler.
Tageszeitungen berichten von einem verschwundenen Jungen mit Sprachbehinderung
- ein Vorkommnis, das in dem Dorf große Aufregung auslöst.
Bloch findet Unterschlupf
in einem gemütlichen Gasthof, von dem aus er Wandertouren
durch die umliegenden Felder startet oder sich mit der erwähnten
Freundin trifft.
Auf einem Spaziergang stolpert Bloch über ein Fahrrad, das
dem verschollenen Jungen gehörte. Aus Angst, auffallen zu
können, behält er die Neuigkeit aber für sich.
Unsicherheit und Verstörtheit beginnen ab diesem Punkt sich
in Bloch breit zu machen. Kein Gespräch kann er mehr führen,
ohne misstrauisch zusammenzuzucken, keinen Tratsch hören,
ohne diesen auf sich selbst zu beziehen.
Auch als Bloch den Leichnam des Jungen findet, erstattet er keine
Meldung - zu groß seine Furcht. Zeitweilig wird ein Zigeuner
ob des Mordes inhaftiert, jedoch wieder freigelassen. Bloch, der
Zeuge der Verhaftung war, sieht sich stetig mehr in die Enge getrieben:
Übermäßiger Alkoholkonsum begünstigt die
Psychosen zusätzlich
- bis er schlussendlich gar die "Handlungen" der
Natur als Affront gegen sich selbst auslegt.
Als das Geld knapp wird, bittet er seine Ex-Frau per Post um Unterstützung
- nicht ohne auch die Postbeamten der Hinterlist zu verdächtigen
- wird jedoch zurückgewiesen.
Des Abends gerät Bloch in eine handfeste Keilerei und wird
von einem Zollbeamten nach Hause eskortiert. Daß dieser
ihn nicht als Mörder identifiziert, verwirrt Bloch über
die Maßen.
Am nächsten Morgen findet der Verstörte beim Frühstück
sein Fahndungsfoto in der Morgenzeitung. Zu seinem Glück
hat kein anderer davon Notiz genommen. In desolater Verfassung
wohnt Bloch einem Fußballspiel bei, ein Vertreter verwickelt
ihn dabei in eine Unterhaltung über die Angst eines Tormannes
beim Elfmeter. Der Schiedsrichter pfeift: Elfmeter. Der Keeper
hält.
Nach dem Ende seiner Sportlerkarriere
arbeitete Bloch zwischenzeitlich als Monteur einer Baufirma. Sein
Alter liegt geschätzt zwischen Ende 30 und Mitte 40. Seine
verflossene Frau will weder von ihm hören, noch ihn sehen
- wie sonst ist es auszulegen, daß sie den Hörer fast
auf die Gabel schmettert, als er anruft, ohne seinen Aufenthaltsort
zu offenbaren.
Seiner Umwelt steht Bloch äußert misstrauisch,
ja argwöhnisch gegenüber, was sich letztendlich in seinem
Verhalten den Mitmenschen gegenüber manifestiert: Was immer
sie erzählen, er nimmt es persönlich. Er traut keinem
und hinterfragt jedes Detail einer Konversation.
Neben der Liebe zu Frauen, zu Filmen und Musik (lässt
stets die Jukebox laufen), dominiert vor allem Sport den leidenschaftlichen
Teil seines Lebens. Alles in allem scheint mir Bloch ein passionierter
Selbstzerstörer mit ansatzweise netten Eigenschaften zu sein.
Sein Hang zum Alkohol und seine chronischen Geldprobleme beispielsweise
gleichen einige positive Aspekte seines Wesens auf einmal aus.
Nun könnte man vermuten, Bloch sei einfach einer jener Leistungssportler,
die nach dem Ende ihrer Laufbahn in ein mentales Loch fallen.
Und bis zu einem gewissen Grade ist dem sicherlich so. Aber bei
Bloch wurzeln die Depressionen noch weit tiefer in der Psyche
- leider klärt Handke darüber nicht genauer auf.
Die geistige Introvertiertheit der Hauptperson spiegelt sich über
deutlich in deren morgendlichem Verhalten wider: Nur Schemen und
Konturen prägen Blochs Erinnerungsvermögen - wenn er
sich den Ablauf des Abends davor nicht laut aufsagt, vergißt
er ihn völlig.
Unter dem Strich können alle versuche, die Person Bloch zu
deuten nur scheitern. Handke hat einen überaus komplizierten,
undurchdringbaren Charakter kreiert, ohne diesen weiter zu studieren.
Der Leser kann einige Reaktionen bzw. Aktionen schlicht nicht
nachvollziehen, weil ihm der Erzähler dazu keine Chance gibt.
Mögliche Motivationen für den anfänglichen Mord
etwa bleiben im Dunkeln.
Handke intendiert schlicht und
ergreifend nichts, gibt seinem Werk keine Existenzberechtigung.
Viel mehr ergeht er sich im Spiel mit der deutschen Sprache, nutzt
die Handlung als pure Plattform für erzählerische Hakenschläge
und Kehrtwendungen, die jeden ahnungslosen Leser überfordern
müssen, sofern er auf eine sinnige Geschichte eingestellt
war. Er zelebriert sich selbst.
Es macht Mühe zu folgen, man weiß selbst nach dem letzten
Satz nicht, wie das Buch zu verstehen ist und kann so nur gebannt
auf die Metapher "Die Angst des Tormanns vor dem Elfmeter"
starren, der Handke eine unvermutete Bedeutung zukommen läßt:
er beschreibt mit ihr, wie unbegründet Ängste sein können,
die von einem schlechten Gewissen herrühren. Was dies nun
mit einem Elfmeter zu tun hat, den meistens ja nicht mal der Tormann
selbst verursacht, bleibt wohl auf ewig Handkes Geheimnis.
Ich leite meine Interpretation deshalb einzig aus dem gebrauchten
Terminus "Angst" im Kontext der Geschichte ab. Dem Autor
ist es wohl gelungen, sich durch Wortgewandtheit zu profilieren,
mehr kann er nicht beabsichtigt haben.
Der Text wird von einem gesondert
voranstehenden Motto eingeleitet: "Der Tormann sah zu, wie
der Ball über die Linie rollte...". Im weiteren folgen
keine Kapitel oder klare Trennungen mehr: das Buch ist - von Absätzen
einmal abgesehen - fließend und ohne Unterbrechungen geschrieben.
Auf Seite 105 sind diverse Zeichnungen abgebildet, die Blochs
verwirrte Wahrnehmung visualisieren.
Der Autor verwendet eine sehr
sachliche, eine schlichte Sprache mit kurzen, prägnanten
Sätzen. Da Handke sich mehr auf sein Spiel mit dieser Form
zu schreiben konzentriert als auf das Erzählen einer Geschichte,
kommt dem Stil eine ungleich größere Bedeutung für
den Text zu.
Adjektive treten nur sehr sporadisch auf, gleiches gilt für
Passagen in direkter Rede. Denn selbst bei Konversationen greift
Handke meist auf die distanziertere indirekte Rede zurück
- vielleicht, um die Kluft zwischen Bloch und dessen Umwelt (gleichzeitig
also zum Dialogpartner) zu verdeutlichen.
Ferner gelingt es dem
Erzähler aus der Perspektive einer dritten Person dem Leser
einen objektiven Überblick zu verschaffen.
"Distanz" scheint überhaupt ein zentrales Mittel
in Handkes Erzählweise zu sein: So nennt er seinen Protagonisten
sowie alle Nebendarsteller jeweils höchstens ein einziges
mal beim Vornamen.
Das hat Auswirkungen auf das emphatische Teilhaben der Leserschaft:
Wie soll man sich in jemanden hineinversetzen, den man erstens
nicht kennt und der einem zweitens auch nicht näher vorgestellt wird?
Da das Buch Ende der 60er Jahre geschrieben
wurde, liegt die "Unterstellung" sehr nahe, Handke habe
im Zuge der damaligen Hippiebewegung ausschließlich provozieren
wollen. Er wählte einen den meisten Menschen völlig
unzugänglichen Sprachstil und verdrehte den feststehend geglaubten
Sinn von Metaphern (s. Titel). Letztlich ließ er gar einen
wirklichen Plot außen vor, was einige Leser, besser: Kritiker
erzürnt haben dürfte.
Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre herrschte ein unvergleichlicher
Fußballboom, Handke schlägt damit einen weiteren Bogen
zur Zeitgeschichte. Das Thema Fußball scheint für diese
Zeitspanne - neben Love, Peace and Unity - geradezu prädestiniert.
Peter Handkes Buch "Die
Angst des Tormanns beim Elfmeter" fügt sich perfekt
in die Reihe seiner sonstigen
Werke ein. Wie so oft will er erst gar nichts weltbewegendes erzählen,
sondern aufzeigen, zu welchen Bravourstücken in puncto Umdeuten
und Manipulation Sprache fähig ist.
In der Entstehungszeit dieses Buches gehörte Handke zu den
"Jungen Wilden", die aus der damaligen Bewegung heraus
auf - einerlei welche - Weise schockieren wollten. Zu dieser These passt vor allem Handkes Bühnenwerk "Publikumsbeschimpfung".
Durch seine provokante Art stieß und stößt Handke
immer wieder auf Ablehnung und Kritik. Auf der anderen Seite gewann
er sich mit Marcel Reich-Ranicki und Günther Grass (jawohl,
richtig gelesen: eben diese beiden) zwei bedeutende Anhänger.
Handkes Werk erweckt in mir -
das gebe ich unverhohlen zu - einigen Widerwillen. Zu weit weicht
er in meinen Augen vom Prinzip der Epik ab, ohne dabei ersatzweise
gewichtige Aussagen zu treffen oder Denkanstöße zu
geben.
Hatte mich der Klappentext zunächst davon überzeugt,
es würde sich bei diesem Buch um die wirkliche Psychoanalyse
eines "normalen" Mörders handeln, so belehrte mich
der Fließtext eines Besseren: die atypische Studie der seltsamen
Verhaltensweisen eines unerklärbaren Charakters ist hier
zu finden. Im Grunde dient der Akt des Mordes hier nur als Mittel,
um das Wesen Bloch wenigstens ein bisschen plausibel erscheinen
zu lassen.
Ein meist passender Satz an derartigen Stellen ist: "Fans
leichter Belletristik greifen besser nicht zu!", doch bin
ich nicht davon überzeugt, dass im Gegenzug Freunde
schwererer Literaturkost an "Die Angst des Tormanns vor dem
Elfmeter" Gefallen fänden. Jemand, der z.B. James Joyce's
Ulysses gelesen hat, wird hier wohl nur kräftig die Nase
rümpfen.
Handke vermag wirklich eloquent zu erzählen und man darf
es ihm nicht zum Vorwurf machen, dass er Bücher lediglich
publiziert, um seine Fähigkeiten zur Schau zu stellen, -
nur kennt er leider keine des Lesens wegen lohnenden Geschichten.