Lesetagebuch zu "Tonio Kröger"
Von Beate Merkel

VORWORT

In diesem Buchbericht über das Buch "Tonio Kröger" von Thomas Mann habe ich mich zunächst mit dem Inhalt der Erzählung vom ersten bis einschließlich dem achten Kapitel befasst. Danach spreche ich den Lebenslauf von Thomas Mann an und gehe auf einige Einzelheiten seines Lebens ein, um danach Parabeln zwischen dem Autor und der Hauptperson ziehen zu können.

 

TONIO KRÖGER - EINE ERZÄHLUNG AUS DEM JAHR 1903

Die Erzählung Tonio Kröger beschreibt einige Lebensphasen eines jungen Mannes, ab seinem vierzehnten Lebensjahr. Tonio ist der Sohn eines Konsuls, also aus sehr angesehenem Haus. Seine Mutter ist aus dem Süden und heißt Consuelo Kröger. Tonio achtet seinen Vater und empfindet sehr starke Gefühle für seine Mutter. Diese hat ein feuriges Temperament und liebt ihren Sohn mit all seinen Fehlern und Mängeln. Tonio ist nicht sehr beliebt bei den Lehrern und bringt auch keine guten Noten nach Hause. Er ist ein sehr empfindsamer Mensch. Seine Lieblingsgewohnheiten sind Geige spielen, träumen von schönen Stellen der Natur und das Dichten von Reimversen. Konsul Kröger ist sehr verärgert über die schlechten Leistungen, die sein Sohn in der Schule erbringt. Für seine Mutter dagegen sind die schulischen Leistungen nur eine Nebensache und sie liebt ihren Sohn, so wie er ist.
Tonio ist sehr gerne mit seinem Freund und Klassenkameraden Hans Hansen zusammen, der ebenfalls aus einem angesehenen Haus stammt. Hans ist allein schon vom Aussehen her das Gegenteil von Tonio und er geht auch anderen Beschäftigungen, wie zum Beispiel dem Reiten, nach. Er ist sehr gut in der Schule und wird von jedem, auch von den Lehrern, hoch angesehen. Tonio empfindet für Hans ein sehr starkes Liebesgefühl. Tonio geht sehr gerne mit Hans spazieren und in ihm kommt eine Art Traurigkeit hoch, wenn sie dann von einem anderen Klassenkameraden, wie Erwin Jimmerthal, dem Sohn eines Bankdirektors, in ihren Unterhaltungen gestört werden. Hans ist auch gerne mit Tonio zusammen unterwegs, aber er sieht dies eben als normale Freundschaft an und versteht Tonio auch öfters nicht.
Ab Tonios sechzehnten Lebensjahr ist er in Ingeborg Holm, die Tochter von Doktor Holm, verliebt. Inge erwidert seine Liebe aber nicht. Tonio empfindet für Inge mehr und anders als für Hans Hansen. Obwohl er sich aus Tanzstunden nichts macht, besucht er sogar diese, um in ihrer Nähe sein zu können, aber auch dadurch erzielt er keine Erfolge. Magdalena Vermehren dagegen, die Tochter des Rechtsanwaltes Vermehren, bewundert seine Gedichte und ihn selbst. Sie ist im Gegensatz zu der schönen blonden Inge eher ein tollpatschiges Mädchen. Magdalena tanzt gerne mit Tonio und ist sehr gerne in seiner Nähe, was ihn nicht umstimmen kann und was er auch keineswegs erwidert.
Tonios weiterer Lebensweg führt ihn nach einigen traurigen familiären Veränderungen auf Reisen. Seine Großmutter und sein Vater sterben kurz nacheinander, und als seine Mutter mit ihrem neuen Ehemann, einem Italiener, das Land verlässt, hält auch ihn nichts mehr in der vertrauten Umgebung. Tonio schreibt noch immer Gedichte und weiß noch nicht genau, was er werden will. Auf seinen Reisen, die ihn durch Komik und Elend führen, lernt er die Höhen und
Tiefen des Lebens noch genauer kennen. Im Süden lässt sich Tonio nieder und führt dort ein planloses Leben, welches ihn selbst nicht gefällt. Er bekommt die Macht der Einsamkeit zu spüren, und er fühlt, dass sein Herz ohne Liebe ist. Diesen Mangel glaubt er von seinem Vater zu haben, weil dieser auch ein, in seinen Augen, kalter Mensch war. Sein anstrengend sinnloses und ausschweifendes Leben schwächt seine Gesundheit, wodurch er sich einen neuen künstlerischen Stil aneignet. Tonio wird wählerischer und reizbarer gegen das Einfache. Durch diesen neuen Stil wird er bekannt.
Als Tonio etwas älter als dreißig ist, hat er feste Freundschaften zu anderen Künstlern und Künstlerinnen, wie zum Beispiel zu Lisaweta Iwanowna. Mit dieser unterhält er sich sehr ernsthaft über das (sein) Dasein als Künstler. Er vergleicht sich sowohl mit anderen Künstlern als auch mit anderen Bürgern und kommt zu dem Schluss, dass er sich seiner Ansicht nach noch nie unter den Menschen einordnen konnte. Zum Schluss seiner langen Erklärungen, erwidert ihm Lisaweta, dass er einfach nur ein Bürger auf Irrwegen sei, was ihm einen tiefen Schlag versetzt. Einige Monate später entschließt sich Tonio wieder zu reisen, und zwar nach Dänemark. Er teilt Lisaweta mit, dass er über seinen Heimatort nach Dänemark reist, um dort wieder altvertraute Klänge zu hören (z.B. den Namen "Ingeborg")
Als er auf seiner Reise in seinem Heimatort ankommt, stellt er fest, dass sich sehr viel verändert hat und ihm fremd geworden ist. Bereits am nächsten Tag setzt er seine Reise nach Kopenhagen fort. In Kopenhagen hält er sich drei Tage lang auf, um allerlei zu besichtigen. Dann fährt Tonio in Richtung Helsingör und dort angekommen, treibt es ihn zu einem entlegenem Hotel, wo er sich zunächst eine Zeitlang niederlassen will. Tonio Kröger verbringt die meiste Zeit draußen in der Natur. Eines Tages kommt eine große Gesellschaft zum Feiern in das Hotel, und unter dieser befinden sich Hans Hansen und Ingeborg Holm. Tonio beobachtet am Abend, von einem stillen Winkel aus die Gesellschaft beim Tanz und vor allem beobachtet er Hans und Inge. Er empfindet die gleichen Gefühle wie damals und wird von beiden nicht wiedererkannt. Danach schläft er in Gedanken an diese beiden ein.

 

NEUNTES KAPITEL - EIN BRIEF AN LISAWETA

Tonio Kröger schreibt Lisaweta einen Brief, in dem er ihr zunächst sagt, dass er bald wieder in den Süden zurückkommen wird. Der weitere Inhalt des Briefes beschreibt Tonios Gefühle, die er während seines Lebens gehabt hat. All diese Gefühle, die der Leser teilweise schon längst vermittelt bekommen hat, fasst Tonio nun in diesem Brief an Lisaweta zusammen.
Er geht nochmals auf die Frage ein, ob er nun Bürger oder Künstler sei. Die Bürger haben ihn verhaftet, als sie ihn bei seinem Besuch in seinem Heimatort für einen Hochstapler hielten und die Künstler (Isaweta selbst) sagen ihm, dass er nur ein Bürger auf Irrwegen sei. Tonio selbst weiß aber immer noch nicht genau, wo er sich einordnen soll und ob er dies überhaupt tun soll.
Er beschreibt Isaweta auch seine Eltern, die dem Leser schon längst bekannt sind. Die beiden unterschiedlichen Charaktere gaben ihm eine breite Spanne an Entwicklungsmöglichkeiten und aus ihm wurde "ein Bürger, der sich in die Kunst verirrte, ein Künstler mit schlechtem gewissen" heraus.
Interessant ist auch noch das Verhältnis zu den Blonden und Blauäugigen, das in seinem gesamten Leben immer wieder eine Rolle spielt. Zu Beginn ist es Hans Hansen, ein blonder und blauäugiger Junge, für den Tonio ganz besondere Empfindungen hat. Danach ist es Ingeborg Holm, die von ihm geliebt wird, und die ebenfalls blond und blauäugig ist. Auch am Ende der Erzählung trifft er wieder auf diese beiden, die er auch während seines ganzen Lebens nie vergessen hat. In seinem Brief nimmt er mit diesem Satz Stellung dazu: "Aber meine tiefste und verstohlenste Liebe gehört den Blonden und Blauäugigen, den hellen Lebendigen, den Glücklichen, Liebenswürdigen und Gewöhnlichen".
Diese Empfindungen gegenüber den so aussehenden Menschen kann ich mir hauptsächlich daraus erklären, dass er mit seinem eher südländischem Aussehen im Norden schon immer auffällig war. Tonio selbst war ja als Kind auch immer in sich verschlossen und wurde von den den Menschen, in seinen Augen, nie richtig geliebt und nie richtig verstanden, was er sicher auch auf sein Aussehen bezogen hat. Er sah, wie leicht es Hans Hansen und Inge hatten und zog daraus seine Schlüsse. Er hasst diese Menschen aber nicht, sondern empfindet eher eine Liebe zu ihnen und ein wenig Neid. Andererseits ist Tonio aber auch glücklich, dass er nicht genau wie alle anderen ist und dadurch sein Weg durch das Leben manchmal schwerer zu gehen ist, was im letzten Satz der Erzählung nochmals deutlich wird. "Sehnsucht ist darin und schwermütiger Neid und ein klein wenig Verachtung und eine ganze keusche Seligkeit."

(Zitate aus dem neunten Kapitel der Erzählung "Tonio Kröger")

 
DER AUTOR UND PARALLELEN ZU SEINER ERZÄHLUNG

Thomas Mann wurde 1875 in Lübeck geboren und wohnte seit 1894 in München. 1933 verließ er Deutschland und lebte zuerst in der Schweiz am Zürichsee, dann in den Vereinigten Staaten, wo er 1938 eine Professur an der Universität Princeton annahm. Später hatte er seinen Wohnsitz in Kalifornien, danach wieder in der Schweiz. Er starb in Zürich am 12. August 1955.
Als ich eine Biographie über das Leben von Thomas Mann gelesen habe, ist mir aufgefallen, dass zwischen seinem Leben und dem von Tonio Kröger sehr viele Parallelen existieren.
Thomas Mann ist, ebenso wie Tonio Kröger, Sohn eines angesehenen Vaters im Norden des Landes, und seine Mutter kommt aus dem Süden. Seine schulischen Leistungen waren sehr schlecht. Thomas` Einstellung zur Schule lässt sich sehr deutlich aus diesem Zitat entnehmen: "Ich habe eine dunkle und schimpfliche Vergangenheit... Erstens bin ich ein verkommener Gymnasiast, nicht, dass ich durch das Abiturientenexam gefallen wäre - es wäre Aufschneiderei, wollte ich das behaupten. Sondern ich bin überhaupt nicht bis zur Prima gelangt; ich war schon in der Sekunda alt wie der Westerwald. Faul, verstockt und voll Liederlichen Hohns über das Ganze, verhasst bei den Lehrern der altehrwürdigen Anstalt.....". Diese Einstellung ist auch ohne weiteres bei Tonio festzustellen.
Der Vater von Thomas Mann stirbt bereits, als Thomas erst fünfzehn Jahre alt ist, und er verlässt dann ähnlich wie Tonio, allerdings mit seiner Mutter, die Stadt.
Thomas beschreibt bereits schon in frühen Jahren novellistische Arbeiten und als diese bekannter werden, entschließt er sich Autor zu werden. Kurz darauf zieht es ihn in den Süden, wo er dann nordische Texte schreibt ( einen nordischen Familienroman ).
Es lassen sich beim Betrachten seiner Biographie und der Erzählung über Tonio Kröger noch mehr solche Ähnlichkeiten finden und ich denke der Sinn dieser ist, dass Thomas seine Gefühle und sein Denken darstellen wollte. Er war schon immer einer, der sich über viele Dinge Gedanken gemacht hat und der auch zugegeben hat, dass er andere Interessen, wie zum Beispiel das Beobachten der Natur, hat. Thomas Mann zeigt mit Tonio Kröger, gerade in der damaligen Zeit, einen Menschen, der nicht nur mit dem Strom schwimmen kann, sondern auch zu seinem eigenen Denken steht, wie er es selbst auch getan hat.

 

STRUKTURANALYSE

Die Erzählung " Tonio Kröger " ist in neun Kapitel unterteilt. In den ersten beiden Kapiteln wird der Leser hauptsächlich mit den Gefühlen Tonios und dessen Umgebung vertraut gemacht. Der Leser weiß immer genau, wie alt Tonio ist und wo er sich aufhält. In diesen beiden Kapiteln geht es vorrangig um Gewohnheiten und Handlungen von Tonio.
Die Kapitel drei bis einschließlich dem achten Kapitel beschreiben den weiteren Lebenslauf von Tonio. Der Leser weiß oft nicht genau, wie alt Tonio ist und wo er sich aufhält. Tonios Gedanken werden dem Leser offenbart und dadurch kann man sich ein ganzes Bild von Tonio machen. Der Erzähler ist allwissend. Er ist nicht nur ein Beobachter, sondern er ist auch in der Hauptperson selbst drinnen, er erzählt die Geschichte aber nicht aus der " Ich- Perspektive ".
Das neunte Kapitel ist wesentlich kürzer als die anderen acht und beschreibt, wie in Gesichtspunkten drei bereits von mir erwähnt, einen Brief an eine Freundin von Tonio.

 

PERSÖNLICHE MEINUNG

Mit der Erzählung " Tonio Kröger " von Thomas Mann, hatte ich persönlich nicht sonderlich viel Freude. Der Text ist zwar leicht zu lesen und auch nicht außergewöhnlich lang, aber ich stimmte mit dem Charakter der Hauptperson überhaupt nicht überein. Ich finde es zwar gut, dass Tonio sich in seinen Gedanken nicht mit allem abfindet, was üblich ist oder als " normal " gilt, aber mich stört es, dass er dann immer nur klein beigibt. Tonio kämpft nicht darum seinen Willen durchzusetzen, ja er zweifelt sogar eher noch an sich selbst. Diese Einstellung steht im extremen Gegensatz zu meinem persönlichen Charakter. Ich stehe zu meiner Meinung und zu Dingen, die ich sehr gerne tue, auch wenn ich dann häufig auf verzerrte Gesichter oder Gegenstimmen treffe. Weil ich mich gerne einsetze und auch mal " ungewöhnlichen " Dingen auf den Grund gehe, haben auch schon einige aus ihrer Verschlossenheit gefunden. Tonio Kröger dagegen verlässt die Heimatstadt, als sein Unmut zu groß wird, er unterhält sich nicht weiter mit Hans, wenn ein zweiter hinzukommt und er zweifelt sogar daran, ob er Künstler oder Bürger ist. Dies soll jetzt nicht den Eindruck machen, dass ich mit Menschen, die nicht meinem Charakter entsprechen, nicht auskomme. Ganz im Gegenteil, ich bin sehr gerne mit anderen ganz unterschiedlichen Menschen zusammen. Dies macht mir sehr großen Spaß und am meisten Freude bringt es mir, wenn ein verschlossener Mensch aus seiner Zurückgezogenheit heraustritt und sich dann auch durchsetzen und in der Gesellschaft einbringen will. Bei Tonio Kröger ist eher noch ein Schritt zurück erkennbar und dies hat mich verwundert. Als am Anfang seine Freundschaft zu Hans geschildert wird, dachte ich eigentlich, dass der junge Mann zu dem steht, was er will, aber dies war dann nicht der Fall.
Bewusst ist mir natürlich auch, dass es nicht immer so leicht wie heute war, sich persönlich einzubringen und gegen den Strom zu schwimmen, und auch ich überspiele manchmal meine Gedanken und Probleme, aber ein bisschen mehr Selbstbewusstsein hätte Tonio nicht geschadet.


Beate Merkel

12 Punkte (Deutsch Leistungskurs | Jahrgangsstufe 12 I)
© by
Beate Merkel, 1998
Korrigiert von: Frau Muras